Erzählt von

                  Elisabeth Simon

 

   Die zwölf

  Monate

 

                 Bilder von

                 Hendrik Jonas

 

 

 

In einem russischen Dorf

lebte eine böse Frau mit

ihrer Tochter Anna und

ihrer Stieftochter Marenka.

Die Frau liebte Anna über

alles und verwöhnte sie,

wo sie nur konnte. Marenka

dagegen musste hart

arbeiten und bekam nie-

mals ein freundliches Wort

zu hören.

Wenn Marenka von morgens

bis abends fleißig war, lag

Anna faul auf dem Ofen und

aß Kuchen.

Nachdem Marenka das Haus

geputzt hatte, ging sie hin-

aus, zupfte im Garten das

Unkraut, grub die Beete

um, lief an den Bach und

schleppte Wasser nach

Hause oder ging in den

Wald und sammelte Reisig.

Das tat sie jeden Tag, im

Frühling, im heißen Som-

mer, im Herbst und im

bitterkalten Winter.

Eines Tages mitten im

Januar, als hoher Schnee

lag und die Menschen sich

in den Hütten dicht um den

Ofen versammelten, damit

sie nicht froren, sagte die

Stiefmutter zu Marenka:

„Ich möchte, dass du in

den Wald gehst und

Schneeglöckchen holst.

Deine Schwester hat

morgen Namenstag.“

 

Marenka erschrak sehr.

Der Wald war in dieser

Jahreszeit gefährlich. Man

konnte sich sehr leicht

verlaufen, weil alles ver-

schneit war. Es war so kalt, dass niemand lange

draußen bleiben konnte.

Und wie sollte sie Schnee-

glöckchen finden, wo diese doch erst im Monat März blühen, im Januar aber nichts von ihnen zu sehen ist?

 

Anna und die Stiefmutter

lachten Marenka aus und

jagten sie mit einem Korb

aus dem Haus.

Sobald Marenka aus dem

Dorf hinaus ins freie Feld

kam, riss sie der eisige

Sturm beinahe um. Schritt

für Schritt kämpfte sie sich

durch den hohen Schnee.

Als sie den Wald erreichte,

war der Himmel dunkel.

Im Wald war es voll-

kommen finster,

nur der Schnee

schimmerte weiß

am Boden.

Marenka wusste

nicht, wohin sie

gehen sollte.

Sie konnte keinen Weg

erkennen und niemand

hätte unter den Schnee-

bergen irgend etwas finden

können. So setzte sich

Marenka erschöpft und

traurig auf einen Baum-

stamm.

Als sie nach einiger Zeit

aufsah, glaubte sie

zwischen den Bäumen

einen Lichtschimmer zu

sehen. Sie stand auf und

stapfte mühsam auf das

Licht zu. Als sie nah genug

heran gekommen war, sah

Marenka auf einer Wald-

lichtung ein großes Feuer

brennen. Um das Feuer

herum saßen Leute und

redeten miteinander. Sie

hatten herrliche Kleider an,

wie sie Marenka noch nie

gesehen hatte.

Zwölf Männer waren es,

junge und alte und das

Mädchen hatte ein bisschen Angst vor ihnen, wäre aber gerne näher zum Feuer gegangen, um sich zu wärmen. Da drehte sich ein alter Mann um, sah sie und rief: „Woher kommst denn

du?“ Da sagte Marenka, dass sie in den Wald geschickt worden war, um Schneeglöckchen zu suchen.

Die Männer schüttelten den

Kopf. Schneeglöckchen

jetzt im Januar? So eine

verrückte Idee. Marenka

erzählte ihnen, dass ihre

Stiefmutter sie hinaus

gejagt hatte. Sie weinte

bitterlich. „Ich bleibe nun

hier im Wald, bis es März

wird. Lieber will ich erfrie-

ren, als ohne Schneeglöck-

chen nach Hause kommen.“

Die Männer redeten aufge-

regt miteinander, aber

Marenka konnte ihre

Sprache nicht verstehen.

Schließlich stand einer der

jungen Männer auf und ging zu dem Alten, der mit Marenka geredet hatte. Er sagte: „Bruder Januar, Schneeglöckchen gibt es erst in meinem Monat,

                  im März.

Wir sollten dem Mädchen

helfen. Lass mich also für

eine Stunde an deinem

Platz sitzen.“ „

Das würde ich gerne tun,

lieber Bruder März, aber

vor dem März kommt der

Februar. Wir müssen ihn

fragen.“ Da stand Bruder

Februar auf, machte seinen

Platz frei und brummte:

„Man muss ihr ja helfen!“

 

Und da geschah das

Unglaubliche: Der Januar

stieß einen Stab auf den

Boden und da ließ der

eisige Frost nach. Dann

stieß der Februar den Stab auf den Boden und es wehte ein feuchter Wind durch den Wald und der Schnee schmolz dahin. Nun übernahm der März den Stab und bald tropfte es von allen Zweigen. Auf dem Boden hatten sich Pfützen gebildet und die

Vögel begannen zu

zwitschern.

Das Mädchen staunte nur

so. Wo waren die Schnee-

haufen geblieben, wo der

kalte Wind und die Eis-

zapfen? Überall sah man

Knospen an den Ästen und

es roch nach Frühling.

„Beeile dich, Mädchen",

sagte der März. "Du hast

nur diese eine Stunde Zeit.“

Und nun sah sie die Blumen

unter den Büschen und auf

der Lichtung. Schneeglöck-

chen, wohin sie nur blickte.

Schnell pflückte sie ihren

Korb voll. Als sie aufsah

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

und sich bei den zwölf

Brüdern bedanken wollte,

war niemand mehr da.

Glücklich lief Marenka nach Hause. Aber gerade als sie das Haus betrat, begann ein Schneesturm zu toben, dass einem Hören und Sehen verging. Marenka schüttete den Korb vor der Stiefmutter aus. Voller Freude erzählte sie, was sie im Wald erlebt hatte.

 

„Mehr haben dir die Monate nicht gegeben?“, fragte die Stiefmutter. „Was bist du doch für ein dummes Ding“, schimpfte sie. „Da wird

 

meine richtige Tochter

klüger sein!“ Sie nahm

Anna zur Seite und sagte:

„Lauf du auch schnell

hinaus auf die Lichtung.

Wenn du den Monaten

begegnest, so verlange

von ihnen Erdbeeren und

Birnen, frische Pilze und

Äpfel. Wir können reiche

Leute werden, wenn wir

diese Köstlichkeiten jetzt

im Winter verkaufen.“

So wickelte sich Anna in

dicke Pelze, nahm einen

riesigen Korb mit und ging

schnell hinaus auf die

Waldlichtung. Die Monate

waren wieder da und saßen

am Feuer und Anna setzte

sich gleich zu ihnen und

wärmte sich.

 

Bruder Januar fragte auch

sie „Woher kommst du?“

Da erzählte Anna von den

Schneeglöckchen, die ihre

Schwester mit nach Hause

gebracht hatte.

„Ich möchte auch Geschenke haben“, sagte sie. „Vom

Monat Juni möchte

ich Erdbeeren,

vom Monat Juli

hätte ich gerne

Gurken, vom

Monat August

will ich Äpfel

und Birnen...“

Da wurde Bruder

Januar ärgerlich.

Er sagte: „Jetzt gerade bin

ich der Herr im Walde und

ich herrsche 31 Tage. Auf den Sommer musst du noch

eine ganze Weile warten.“

Dann schwenkte er seinen

Stab in der Luft. Da brach

ein Schneesturm los, der

die Lichtung einhüllte, dass

nichts mehr zu sehen war.

Der Schnee wirbelte dicht

um das Mädchen, verklebte

ihm die Augen und hüllte

es schließlich ganz und

gar ein.

Die Mutter wartete auf ihre

Tochter, aber sie kam nicht.

Schließlich ging sie selbst

in den Wald, um sie zu

suchen. Aber immer noch

wütete der Schneesturm

und auch die Mutter versank immer weiter im Schnee. So waren sie beide erfroren im Wald und warteten so auf den Sommer.

Im Häuschen aber lebte

Marenka ein langes und

glückliches Leben. In ihrem

Garten blühte es wie

nirgends sonst. Es reiften

die herrlichsten Früchte

und die Leute sagten:

„In diesem Haus sind alle

zwölf Monate willkommen.“

 

 

 

 

 

 

     Russisches Märchen

     

     

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     Verantwortlich und alle Rechte:

     Elisaabeth Simon-Pätzold

 

     © 2014 Berlin

     Verbreitung und Vervielfältigung auch

     in Auszügen sind nicht gestattet

     Reihengestaltung Lesestufe 1 bis 3:

     Marion Goedelt, Hendrik Jonas,

     Lena Ellermann

 

 

 

 

 

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